Montag, 24. Juni 2019

Der politische Stillstand

Tatsächlich habe ich mich immer wieder gefragt, warum gerade ich den Mund aufmachen sollte? Ehrlich gesagt, weiß ich es immer noch nicht so genau. Vermutlich mache ich simpel jetzt den Mund auf, weil mir einfach der Kragen geplatzt ist. Ich habe die Schnauze gestrichen voll!
Von vorn:
Gestern Abend war ich eher weniger damit beschäftigt "Anne Will" zu sehen, als mit meinem Handy gedankliche Notizen festzuhalten.
Während Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) und die anderen Gäste sich halbwegs sachlich duellierten, war ich damit beschäftigt nur mit halbem Ohr zu zuhören. Erst beim Thema "Ehe für alle" wurde ich hellhörig.

Akk sagt: "Das ist für mich die Frage, dass wir auch unterschiedliche Lebensstile akzeptieren. Dass zum Beispiel diejenigen, die in einem Dorf auf dem ländlichen Bereich leben, den Respekt dafür verdienen, dass die Art, wie sie zusammenleben, genauso akzeptiert wird wie die Art, wie Menschen zum Beispiel in Berlin oder sonst wo zusammenleben." Und ehrlich gesagt frage ich mich gerade, wer diesen Menschen etwa Respekt oder Akzeptanz abspricht. Ist es nicht viel mehr so, dass sich der Toleranzbalken unserer Gesellschaft gerade so sehr verbiegt und verschiebt, dass man selbst gar nicht mehr weiß, was noch akzeptiert und respektiert wird?! Was noch akzeptiert und respektiert werden kann?
Mir zumindest geht es manchmal so. Irgendwie habe ich deutlich im Gefühl, dass unsere Gesellschaft mit all dem Politischen, das uns heute entgegen schlägt, total überfordert ist. Vor allem als junger Mensch.
Das wird mir erst wieder bewusst, als ich in meine politische Diskussionsblase in der Mittagspause eintauche. Geleitet durch ein aktuelles, berufsbedingtes Thema landen wir beim Kaffee bei AKK. Was AKK angeht, sind wir alle einer Meinung. In diesem Zusammenhang finde ich es schwer, eine politische Diskussion aufzumachen. Denn wie soll man diskutieren, wenn sich - hier in dieser Blase - eh alle einig sind?
Wenn ich allerdings aus meiner Diskussionsblase heraustrete, im Netz nach einer vernünftigen politischen Diskussion suche, schlägt mir rasant ein harscher Umgangston, wenn nicht sogar Hass entgegen. Es ist jener Hass, der sich nicht gegen mich richtet, der mir aber trotzdem entgegen schlägt. Hass ist etwas emotionales. Von dieser Empfindung können sich nur wenige Menschen distanzieren. Im Netz kann das - für mich gefühlt - niemand. In diesem Sinne hilft mir auch keine Klarnamenpflicht, die Max Mustermann im Internet als diesen kennzeichnet. Klar, weiß ich dann in diesem Augenblick, dass Max Mustermann am andere Ende der Leitung gerade richtig eskaliert, aber mehr eben auch nicht. Die spannendere Frage ist jedoch: Warum eskaliert er gerade am anderen Ende der Internetleitung? Empfindet er wirklich diesen Hass? Ist ihm einfach nur langweilig, hat sich deshalb in dieses Thema hineingesteigert und kommt gerade deshalb mit gefährlichem Halbwissen um die Ecke? Oder ist es doch so, dass Max Mustermann diese Ansichten wirklich vertritt, deswegen auch teilt?
In den überwiegenden Fällen, würde ich behaupten, ist es eine simple Überforderung der politisch breiten Debatte. Wie viele Themen werden derzeit diskutiert? Über wie viele Themen wird berichtet? Spontan fallen mir ein: Genderpaygap, § 219a, Klimakrise, Extremismus sowohl von rechts als auch von links, Pflegenotstand, Kitanotstand, Flüchtlingskrise etc. Unsere Gesellschaft ist umzingelt von Problemen, die gefühlt gestern noch nicht da waren. Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass die deutsche Gesellschaft sich taub, unfähig zu handeln fühlt. Schlicht und einfach ist sie zu müde, zu satt, um eine angemessene politische Debatte zu führen, die allen Generationen gerecht wird.
Überall wird nach einem Schuldigen gesucht, nach demjenigen, der es so richtig verbockt hat, anstatt sich darüber auszutauschen, wie die Probleme von heute gut gelöst werden können. Bei dieser depressiven Episode unserer Gesellschaft hilft eben keine Pille, um die Frühsymptome zu lindern. Zwischen zunehmender Lustlosigkeit und Angst reiht sich eine missmutige Stimmungslage und Reizbarkeit ein. Wie das mit Depressionen eben so ist als Außenstehender: Es ist zum verzweifeln, zum durchdrehen, zum schreien. Ohne Therapie, ohne Medikamente fühlt man sich machtlos.
Ich bin mir sicher, dass unsere Gesellschaft nicht machtlos ist. Doch warum fangen wir nicht an, uns zu solidarisieren? Anstatt uns einzeln auf die kleinen Probleme zu konzentrieren? Warum stehen wir nicht auf, um zu sagen: "Hey, wir haben nicht nur ein Problem sondern mehrere und an diesen müssen wir jetzt (!) arbeiten."? Wir tun es nicht, weil Deutschland in einer tiefen depressiven gesellschaftlich-politischen Krise steckt.

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